Deutsche zu Besuch in Israel – Ein Interview mit Uriel Kashi auf belltower.news

Deutsche zu Besuch in Israel – Ein Interview mit Uriel Kashi auf belltower.news

In einem Interview für belltower.news unterhalte ich mich mit Stefan Lauer über meine Arbeit als Reiseleiter in Israel. Dabei geht es um das Israelbild deutscher Touristen, die Faszination, die heute leider viele Rechtspopulisten für Israel hegen wie auch um den Unterschied zwischen deutscher und israelischer Gedenkkultur.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen:

https://www.belltower.news/antisemitismus-und-gedenken-deutsche-zu-besuch-in-israel-82221/

Was macht Anne Frank in einem israelischen Einkaufszentrum?

Was macht Anne Frank in einem israelischen Einkaufszentrum?

Heute ist in Israel „Yom Hashoa“, der Holocaust-Gedenktag und beim Schreiben dieses Blogbeitrages stand ich vor einem Dilemma: Soll der Titel lauten: „Holocaustgedenken – Ein Vergleich zwischen Deutschland und Israel“ oder doch „Was macht Anne Frank in einem israelischen Einkaufszentrum?“

Die Ernsthaftigkeit der ersten Überschrift steht dabei scheinbar im Gegensatz zur Ironie der zweiten.

Ich habe in den letzten Jahren immer mal wieder meine Gedanken zum Holocaustgedenken in Israel schriftlich festgehalten. Und auch heute möchte ich den Gedenktag nutzen, um auf die unterschiedlichen Umgangsformen mit dem Thema in Deutschland und Israel einzugehen.

Ein Hauptunterschied zu Deutschland liegt darin, dass israelische Kinder und Jugendliche schon sehr früh motiviert werden, eigene Formen der Erinnerung zu entwickeln. Ein interessantes Beispiel ist dabei die Mevoot – Grundschule in Beer Tuvia, wo eine engagierte Lehrerin gemeinsam mit Eltern, Großeltern und natürlich den Kindern ein eigenes Holocaustmuseum gegründet hat.

Am heutigen Holocaust-Gedenktag führen nun Kinder der 6. Klasse ihre Eltern und andere Besucher durch die Ausstellung und erzählen vom Schicksal eines kleinen Jungen, der am Ende des Krieges nach Israel kommt und schließlich in einem Kibbutz aufwächst. Neben der Einführung des gelben Sterns und der Ghettos werden in der Ausstellung auch die Orte der Vernichtung nicht ausgespart.

Diese sehr frühe Konfrontation der israelischen Kinder mag in Deutschland viele irritieren, führt in Israel jedoch dazu, dass Kinder schon sehr verschiedene Wege des „Sich-Erinnerns“ kennenlernen und anschließend bereits in jungen Jahren beginnen, sich eigene Wege zur Erinnerung erarbeiten.

Für diesen Beitrag habe ich einige Freunde gefragt, was sie früher als  Jugendliche an Yom Hashoa gemacht haben. Einige von ihnen, die in einer der Jugendbewegungen aktiv waren, erzählten von Diskussionen, ob man sich anlässlich von Yom Hashoa mit aktuellen Genoziden beschäftigen sollte, mit den Kriegen in Ruanda, Darfur oder den Flüchtlingen aus Eritrea. Könnte – so fragten sie sich – Yom Hashoa vielleicht ein Anlass sein, über die eigene Verantwortung für Unrecht zu diskutieren, welches heute geschieht? Wie steht es in Israel heute mit der Zivilcourage? Ein früheres Mitglied der Gruppe des „Hashomer Hazair“ – des „Jungen Wächters“ erzählte, sie lasen anlässlich des Yom Hashoa Texte über die Gleichgültigkeitdes marxistischen Philosophen Antonio Gramsci, einem Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens . Andere besuchten eine „alternative Gedenkzeremonie“ in Tel Aviv, eine Inititative der „Dritten Generation“ wo diskutiert wurde, ob und für wen das Stillstehen während der Sirene heute noch Sinn macht.

Gestern erfuhr ich, dass in einer Schule im Zentrum Jerusalems die Schüler beschlossen, die Eingangslobby mit schwarzen Tüchern zu verhängen und Zugschienen auf dem Boden zu „kleben“, die an die Transporte ins Vernichtungslager Auschwitz erinnern sollten. Viele Lehrerinnen und Lehrer der Schule waren von der Idee überhaupt nicht begeistert, doch die letztendliche Entscheidung über die Frage, wie das Gedenken dieses Jahr zu gestalten ist, lag hier zu 100% bei den Jugendlichen selbst.

Von dieser Vielfalt an Gedenkzeremonien, Ritualen, privaten Initiativen und Engagement kann in Deutschland nicht die Rede sein. Das heißt nicht, dass in Deutschland das Thema nicht präsent ist. Ich glaube durchaus, dass in Deutschland sehr viel über das Thema nachgedacht wird. Gerade in der dritten und mittlerweile vierten Generation erlebe ich bei meinen Gruppen eine interessante Mischung aus einem Nachdenken über die Verantwortung Deutschlands heute und einem ehrlichen Interesse für die Biographien und Geschichten der Opfer. Gleichzeitig erlebe ich in Deutschland jedoch so etwas wie eine Ur-Angst, bei möglichen Gedenkformen und Zeremonien etwas „falsch“ zu machen.

Eine deutsche Teilnehmerin eines Jugendaustauschs erzählte mir einmal, wie sie mit gleichaltrigen Israelis das Konzentrationslager Ravensbrück besuchte. Als die Gruppe während der Führung erfuhr, dass die Asche der Toten teilweise in den benachbarten Schwedtsee geschüttet wurde, beschlossen die israelischen Teilnehmer spontan, eine Gedenkzeremonie zu begehen, holten eine israelische Flagge aus dem Rucksack, zündeten Kerzen an und sprachen Gedichte. Die deutsche Teilnehmerin erzählte mir von ihrer Irritation: Einerseits war sie fasziniert von der Selbstverständlichkeit und dem Selbstbewusstsein der Israelis, andererseits wusste sie nicht, ob sie an der Trauerzeremonie gleichberechtigt teilnehmen „dürfe“, da sie doch „aus dem Tätervolk“ stamme. Sie fühlte sich überfordert und empfand auch Schuldgefühle, keine wirkliche Trauer empfinden zu können für Menschen, die sie überhaupt nicht kannte. Der israelischen Initiative hatten die deutschen TeilnehmerInnen nichts entgegenzusetzen. Erst ein Besuch in Israel und die Begegnung mit Überlebenden hätten ihr geholfen, mit ganzem Herzen die Trauer Mitzuempfinden und entsprechend auch an solchen Zeremonien teilnehmen zu können.

Ich glaube, eine der großen Herausforderungen in Deutschland ist, dass jene Generation, die mit der Aufarbeitung der Geschichte begonnen hat, den heutigen Jugendlichen nicht zutraut, eigene Gedenkformen zu entwickeln und selbstbestimmt zu verfolgen. Zwar gibt es Versuche, junge Menschen in die Planung neuer Gedenkstätten mit einzubeziehen, so z.B. bei der Planung einer neuen Gedenkstätte am Hannoversche Bahnhof am Lohseplatz in Hamburg, von wo aus ab 1940 Juden wie auch Sinti und Roma in verschiedene Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt, wurden: Vor der Errichtung der Gedenkstätte wurden Jugendliche in einem Projekt aufgefordert zu überlegen, welche aktuellen Themen ihrer Meinung nach in Bezug zur Geschichte der Hamburger Deportationen stehen und wie solche Verknüpfungen zur Gegenwart im Rahmen der Ausstellung integriert werden können/ dürfen/ sollen. Auch im Anne Frank Zentrum gibt es das Projekt „Schüler führen Schüler“.

Dass Jugendliche ernsthaft Verantwortung in diesem Bereich übernehmen dürfen, erscheint mir jedoch die Ausnahme.index

Was hat das nun mit Anne Frank und dem israelischen Einkaufzentrum zu tun?

Während man in Deutschland manchmal zu ängstlich ist, etwas „falsch“ zu machen und das Resultat darin besteht, auf viele Gedenkzeremonien und Projekte komplett zu verzichten, scheint es mir manchmal in Israel an einer gewissen Sensibilität zu fehlen. So, als letztes Jahr zur „Verschönerung“ einer Jerusalemer Shopping Mail eine Anne Frank Statue neben dem Eingangsportal aufgestellt wurde. Ohne Kommentar und jegliche Kontextualisierung. Was macht Anne Frank in einem israelischen Einkaufszentrum? Was hat sie dort zu suchen?

UPDATE:

Gestern Abend hielt  Yair Golan, der stellvertretende Chef des Generalstabs der Israelischen Armee eine bewegende Rede in der er u.a. sagte:

„On Holocaust Remembrance Day, it is worthwhile to ponder our capacity to uproot the first signs of intolerance, violence, and self-destruction that arise on the path to moral degradation […] The Holocaust should bring us to ponder our public lives and, furthermore, it must lead anyone who is capable of taking public responsibility to do so, […] Because if there is one thing that is scary in remembering the Holocaust, it is noticing horrific processes which developed in Europe – particularly in Germany – 70, 80, and 90 years ago, and finding remnants of that here among us in the year 2016. […] The Holocaust, in my view, must lead us to deep soul-searching about the nature of man, […] It must bring us to conduct some soul-searching as to the responsibility of leadership and the quality of our society. It must lead us to fundamentally rethink how we, here and now, behave towards the other. […] There is nothing easier and simpler than in changing the foreigner, […] There is nothing easier and simpler than fear-mongering and threatening. There is nothing easier and simpler than in behaving like beasts, becoming morally corrupt, and sanctimoniousness.“
Sein Vergleich der aktuellen politischen Entwicklungen in Israel mit jenen in Deutschland in der 1930er Jahren hat in Israel eine große Diskussion ausgelöst. Es zeigt sich: Auch 70 Jahre nach Kriegsende führt der Holocaust-Gedenktag immer wieder zu hitzigen Diskussionen, die bei einer reflektierte Wahrnehmung der Gegenwart und für die Gestaltung einer besseren Zukunft eine wichtige Bedeutung einnehmen können.

Yad Vashem – Gedenken im Wandel

Yad Vashem – Gedenken im Wandel


Gedenkstätten erzählen von der Vergangenheit. Sie sind jedoch gleichzeitig auch ein Spiegel der Zeit und des Ortes, in denen sie entstanden sind. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat mich gebeten, einen Artikel über Yad Vashem zu schreiben. Die Idee war, Yad Vashem vorzustellen und einer deutschen Leserschaft einen Überblick über Ausstellungskonzeption, Quellensicherung und die pädagogische Arbeit der israelischen Holocaust-Gedenkstätte zu vermitteln. Diese Woche wurde der Artikel schließlich in der Wochenzeitschrift “Aus Politik und Zeitgeschichte” abgedruckt und ist nun auch online lesbar.

http://www.bpb.de/apuz/141896/yad-vashem-gedenken-im-wandel

Holocaust-Gedenktag in Israel

Holocaust-Gedenktag in Israel

Diese Woche fand in Israel der Gedenktag für die Opfer des Holocaust – Yom Hashoa statt. Während in Deutschland am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar – Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee) für die meisten Menschen „Business as Usual“ bedeutet, spürt man in Israel, dass dieser Tag auch 67 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht an Bedeutung verloren hat. Bereits am Vorabend von Yom Hashoa schließen im ganzen Land die Kneipen, Cafés und Diskotheken ihre Pforten. Im Radio wird ausschließlich traurige und melancholische Musik gespielt und im Fernsehen reiht sich eine Holocaust Dokumentation an die nächste. Sogar viele Hotels schmücken ihre Lobbys mit kleinen Holocaust Mahnmalen und an den Hotelbars wird kein Alkohol ausgeschenkt.

Besonders beeindruckend ist jedes Jahr wieder das Aufheulen der Sirenen um 10 Uhr morgens. Menschen unterbrechen ihre Arbeit, mitten auf der Straße steigen Menschen aus ihren Autos und selbst im sonst so turbulenten Supermarkt wird es plötzlich ganz still. Schweigend legen die Menschen eine Trauerminute ein.

Diese Woche begleitete ich den Freundeskreis Yad Vashem – Österreich während einer Rundreise durch Israel. Während der gemeinsamen Teilnahme an den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten in Yad Vashem fiel mir mal wieder auf, wie sich der Umgang der Israelis mit dem Holocaust in den letzten Jahren verändert hat.

Betrachtet man israelische Holocaust-Denkmäler aus den 60er und 70er Jahren, so lässt es sich erkennen, dass der gewaltsame Widerstand gegen die Nazis im Zentrum der israelischen Erinnerungskultur stand. Widerstandskämpfer wie Mordechaj Anielewicz galten den jungen Israels als Vorbilder bei ihrem eigenen Überlebenskampf während der zahlreichen Kriege, die Israel gegen die scheinbar übermächtigen arabischen Armeen zu führen hatte.

Völlig anders gestaltete sich die diesjährige Gedenkzeremonie, welche unter dem Motto: „Der Einzelne und die Gemeinschaft. Jüdische Solidarität während des Holocaust.“ stand. Während die israelische Gesellschaft immer weiter auseinander driftet und die Aufsplitterung in Religiöse und Säkulare, Linke und Rechte, Arm und Reich etc. fast unüberwindbar erscheint, sehnen sich die Menschen nach einer größeren Solidarität zwischen den Menschen, wie sie es zur Zeit des Holocaust angeblich gegeben haben soll.

Besonders beeindruckend empfand ich zu Beginn der offiziellen Yad Vashem Zeremonie, wie Korporal Guy Peltz in Militäruniform auf Jiddisch ( 7,20 Minute) das Lied Papirosen sang

Vor der Gründung des Staates Israel wählte der Zionismus das Hebräische als Nationalsprache, wohingegen das Jiddische in Palästina geradezu verfemt wurde. Jiddisch stand für den „alten Juden“, den „schwachen Juden aus der Diaspora“, wohingegen das Hebräische den neuen, starken Juden repräsentierte. Die Verbindung: Israelischer Soldat + Militäruniform + Yiddisches Lied hätte ich für undenkbar gehalten und zeugt von einem gewissen Reifeprozess, den die israelische Gesellschaft bezüglich des Umgangs mit der eigenen Diaspora-Geschichte gemacht hat.

Außerdem: Sehr beeindruckend – wie immer – die Rede von Präsident Shimon Peres, die hier in deutscher Übersetzung nachgelesen werden kann.